Ausstellung der Klasse Prof. Stella Geppert der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle / Studiengang Kunsterziehung und Kunstpädagogik
Mit Arbeiten von: Lea Bruns, Maïté Darroman, Elisabeth Decker, Laura Drolshagen, Nadine Fischer, Stella Geppert, Lea Groß, Tabea Herbst, Mark Hornbogen, Sarah Kaiser, Elena Kirchhoff, Thomas Kirchner, Yommana Klüber, Karla König, Kristina Kramer, Nora Läkamp, Christian Liebst, Therese Lippold, Marie Neumann, Laurina Preckel, Magdalena Rude, Carola Sachs, Vanessa Schmitz, Anne Schneider, Nicolas Schröter, Matthias Schützelt, Kristina Sinn, Patrick Stäbler, Laura Stach, Alexandra Stein, Amelie-Teresa Wiebach, Sandy Winkler, Elisabeth Zunk
Mit Arbeiten von: Lea Bruns, Maïté Darroman, Elisabeth Decker, Laura Drolshagen, Nadine Fischer, Stella Geppert, Lea Groß, Tabea Herbst, Mark Hornbogen, Sarah Kaiser, Elena Kirchhoff, Thomas Kirchner, Yommana Klüber, Karla König, Kristina Kramer, Nora Läkamp, Christian Liebst, Therese Lippold, Marie Neumann, Laurina Preckel, Magdalena Rude, Carola Sachs, Vanessa Schmitz, Anne Schneider, Nicolas Schröter, Matthias Schützelt, Kristina Sinn, Patrick Stäbler, Laura Stach, Alexandra Stein, Amelie-Teresa Wiebach, Sandy Winkler, Elisabeth Zunk
Konzept
Als verbindendes Element der Ausstellung funktioniert die Falte als räumliches Prinzip, Denkfigur und konzeptuelle Grundlage. Die Falte ist und schafft Raum; sie verbindet: „Die Faltung als strukturelle Verlaufsform erweist sich als eine adäquate Übersetzung der im weitesten Sinne vernetzten Welt. Sie besitzt die Fähigkeit und das Potential, alles mit allem zu verbinden. Mit der Faltung spielen Künstler die großen Zusammenhänge durch und holen zugleich kleine Besonderheiten hervor.“* Unter den verschiedenen Aspekten der Entstehung und Realisierung einer Ausstellung werden die Räumlichkeiten zweier leer stehender Wohnungen am Hallmarkt in eine Ausstellungsplattform verwandelt. Experimentelle Verfahrensweisen, strukturelle sowie prozessuale Denk- und Handlungsweisen im Umgang mit räumlichen Phänomen sind Ausgangslage der Arbeiten der Klasse, die in verschiedenen künstlerischen Medien ihren Ausdruck finden. An den jeweiligen Grenzen tradierter Kategorisierungen entfalten die Arbeiten durch konzeptionelle Klarheit ihre Wirkung. Das Vermittlungsprogramm ‚Streifzüge‘ bietet die Möglichkeit einer Reflexion „von innen - nach außen - nach innen“, Passanten und Passantinnen des Umfeldes sind zur Zusammenarbeit eingeladen. Neben der bestehenden Ordnung der künstlerischen Positionen in den Ausstellungsräumen wird sich ein Raum stetig transformieren. Flüchtige Aktionen und Inszenierungen verwandeln eine kleine Kammer zur Bühne, ein Entfaltungsgebiet auf Zeit.
*Kunstmuseum Krefeld, Der große Wurf, Faltungen in der Gegenwartskunst, Freiburg 2008, S. 19
*Kunstmuseum Krefeld, Der große Wurf, Faltungen in der Gegenwartskunst, Freiburg 2008, S. 19
Leitfaden
1. Gleichgewicht zwischen Individualität und Gemeinsamkeit im Klassenspezifikum
2. Ausstellen als Künstlerinnen, vermitteln als Vermittlerinnen
3. Die Auswahl der Arbeiten fällt der/die Künstlerinn, sie soll die künstlerische Arbeitsweise/Position repräsentieren
4. Die Konzeption soll von den Arbeiten ausgehend entwickelt werden, unter dem Aspekt der Inklusivität
5. Auflösen der Wissenshierarchie zwischen Künstlerinnen und Besucherinnen
6. Wiedererkennbares visuelles Erscheinungsbild und aus der Konzeption abgeleitete Vermittlung
7. Der Leitfaden ist die diplomatische Grundlage
8. Vertrauen und Eigenständigkeit der Arbeitsgruppen
2. Ausstellen als Künstlerinnen, vermitteln als Vermittlerinnen
3. Die Auswahl der Arbeiten fällt der/die Künstlerinn, sie soll die künstlerische Arbeitsweise/Position repräsentieren
4. Die Konzeption soll von den Arbeiten ausgehend entwickelt werden, unter dem Aspekt der Inklusivität
5. Auflösen der Wissenshierarchie zwischen Künstlerinnen und Besucherinnen
6. Wiedererkennbares visuelles Erscheinungsbild und aus der Konzeption abgeleitete Vermittlung
7. Der Leitfaden ist die diplomatische Grundlage
8. Vertrauen und Eigenständigkeit der Arbeitsgruppen
Text von Agnes Kohlmeyer
Besuch in Halle - das alte Haus, das Salz und die Kunst
Aufzeichnungen und Gedanken eines Wunder-Wanderers auf den Spuren weiterer verborgener Orte
Im vergangenen Sommer hatte ich Gelegenheit, in meinem Wohnort Venedig die deutsche Künstlerin Stella Geppert kennenzulernen, denn sie hatte einige Monate lang ein Arbeits-Stipendium an der dortigen Deutschen Studienstiftung inne.
Natürlich sprachen wir zunächst in erster Linie über ihre eigene künstlerische Arbeit und ihr venezianisches “Lauf-“Projekt. Aber dann fanden wir sehr schnell auch einen großen Konsens innerhalb unserer beider Lehrtätigkeit - sie als Künstler-Lehrende in Halle, Burg Giebichenstein und ich selber als Kuratorin, Kunsthistorikerin und -kritikerin an Venedigs Fakultät für Design und Künste der Architektur-Universität IUAV. Sehr schnell gefiel uns auch die Idee, früher oder später einmal unsere Studenten – auf beiden Seiten überwiegend junge Künstler und dementsprechend auch im Rahmen unserer Lehrtätigkeiten in mehr oder weniger komplexen praktischen Projekten zur Realisierung künstlerischer Arbeiten und deren Präsentationen eingebunden – in Form eines Workshops zusammenzubringen und vielleicht sogar einmal gemeinsam arbeiten zu lassen. Dieses Vorhaben hat sich allerdings bis heute leider noch nicht in die Tat umsetzen lassen. Dafür konnte ich aber im vergangenen Frühjahr, genauer gesagt Ende April schon einmal als “Gastkritiker” an die Kunsthochschule Burg Giebichenstein nach Halle eingeladen werden. Während die Einzelprojekte meiner eigenen Studenten innerhalb des venezianischen Stadtraumes, im Hinterland und auf den Inseln noch im Entstehen begriffen waren, konnte sich mir in Halle doch bereits eine vollständige Ausstellung präsentieren. Der Studiengang an der dortigen Schule ist offensichtlich etwas anders strukturiert als der unsrige, und eine Studentengruppe hat über einen viel längeren Zeitraum hindurch die gleiche lehrende Bezugsperson. Da lassen sich natürlich auch weit komplexere Ausstellungs- und andere Projekte durchführen und sämtliche vorbereitenden Arbeitsphasen um ein eigentliches Ausstellungsgeschehen herum noch um einiges profunder exerzieren, sowie im Anschluss dann noch einmal intensiver analysieren und aufbereiten. Etwa durch die Herstellung einer dokumentierenden Publikation – wie sie nun vorliegt. Also, ein ganzes komplexes Ausstellungsgeschehen – zum Teil in seinem Prozess begriffen, aber als eine zu besichtigende Ausstellung mit unterschiedlichem Dokumentationsmaterial, mit Führungen und sonstiger Besucherbegleitung auch bereits vervollständigt – das ist es, was ich in Halle in eigener Person erleben konnte. Zur Ausstellungseröffnung, ein paar Tage vor meinem Besuch hatte bereits eine interessant gestaltete Einführung mit verteilten Rollen aus den Fenstern heraus gesprochen stattgefunden – so ist es mir berichtet worden –, und Führungen und Besucherbegleitung waren durch den ganzen Ausstellungszeitraum hindurch geplant.
Nun, bei dem gemeinsam gesuchten und gefundenen Ausstellungsraum handelte es sich um ein altes und offensichtlich bereits seit einer gewissen Zeit leerstehendes Haus mitten im Zentrum der Stadt und in unmittelbarer Nähe zur beeindruckenden Marktkirche “Unserer Lieben Frauen”. Ein Haus wie alle alten Häuser mit seiner ganz besonderen Geschichte, und dieses hier sogar mit der zusätzlichen Besucherattraktion des ältesten Salzbrunnens der Stadt im Keller, welchen man erst wenige Jahre zuvor dort wiederentdeckt hatte. Auf jeden Fall aber ein Haus mit seinen Spuren aus dem Leben vergangener Zeiten und früherer Bewohner. Spuren, welche sich auch noch recht hartnäckig und irgendwie auch selbstbewusst behaupteten – etwa durch den Geruch des alten Hauses, durch seine Geräusche, durch das beharrliche Vorhandensein von durchaus ungewöhnlichen bis kitschigen Blümchentapeten sowie alten und verlebten Fußböden, von Küchenkacheln und Einbauschränken, welche niemand vorerst für nötig gehalten hatte zu entfernen. Ganz im Gegenteil, all diese Details wurden nun selber zu faszinierenden Stimulanzen für die jungen Künstler, welche einen spannenden Dialog zwischen bereits Vorhandenem und eigenen neuen Arbeiten ins Leben zu rufen beabsichtigten. Es schien eine sehr bewusste Entscheidung, dieses bereits so sehr konnotierte Ambiente so wie es war anzunehmen, es mitnichten in einen neutralen “White Cube”-Ausstellungsraum umzuwandeln (was mit ein wenig weißer Farbe wohl ebenfalls machbar gewesen wäre), sondern eben diese Vergangenheit teilweise nun wieder zum Ausgangspunkt für zum großen Teil vor Ort inspiriertes Arbeiten zu nehmen. Die einzelnen Kunstwerke und Installationen wie die auch in vielen Fällen ganzen Rauminstallationen – auch aus verschiedenen Arbeiten von unterschiedlichen Autoren bestehend –, welche ich nun auf meinen mehrmaligen Besichtigungstouren durch das Haus entdecken konnte, waren von sehr unterschiedlicher Art, Beschaffenheit und auch – und es kann gar nicht anders sein – von unterschiedlicher Qualität und künstlerischer Reife. Da gab es Räume, welche keinerlei Erklärung bedurften, welche auf Anhieb verzauberten, durch Farben, Materialien, Stimmigkeiten, sowohl unter den unterschiedlichen Arbeiten, wie auch im Dialog mit den umliegenden Gegebenheiten – dem Raum, seinen Dimensionen und seinen Lichtverhältnissen, seinen Geräuschen, Gerüchen und seiner Vergangenheit, und welchem nun ein neues, ein anderes, ein ganz und gar zeitgenössisches Leben eingehaucht worden war. Alte Räume, in welche nun die Kunst eingezogen war. Aber auch die Treppen, die Durchgänge – unterstützt durch architektonische Hilfen und Raumteiler –, sowie sogenannte “Unräume”, im Alltag manchmal nur schwer zu nutzende Volumen, Korridor-Enden und unglücklich gelegene Abstellkammern werden hier nun ebenfalls zu Möglichkeiten, in sie die Kunst einzubauen und ihnen somit eine neue Berechtigung zu geben. Wie überall, wo Künstler mit den unterschiedlichsten Anliegen, Interessen und auch Fähigkeiten aufeinanderstoßen und miteinander arbeiten, war die Ausstellung eine sehr gemischte, auch an Typologie der Arbeiten und ihrer Präsentationen, was natürlich auch den Reiz ausmacht bei einer solch komplexen Entdeckungstour durch ein ganzes Haus hindurch, vom Keller bis zum Dachboden, in alle Ecken und Winkel und sogar bis zu den Fenstern hinaus. Das meiste, das muss man wirklich zugestehen, harmonierte auf sehr effektvolle und – man konnte dies sehr wohl spüren – auch wirklich “erarbeitete” Art und Weise. Vieles bezog sich auch inhaltlich auf bestimmte Raumsituationen. Beispielsweise gab es wohl nicht von ungefähr genau im Treppenhaus, sowohl unten wie ganz oben, zwei Videoarbeiten, die sich mit dem Thema “Laufen” beschäftigten, und welche auf diese Art und Weise ja auch wieder untereinander korrespondieren konnten. Es gab ruhigere, etwas abgeschiedene Räume mit Sitzgelegenheiten für das ganz intime In-sich-Gehen, während man sich in ein Video, eine Soundinstallation oder eine Art künstlich geschaffene neue Raumlösung vertiefte. Oder auch kleinere Räume, in welchen man kleinere intimere Skulpturen oder auch andere Arbeiten betrachten konnte, am besten noch, wenn es gelang, ganz allein mit der Kunst zu bleiben. Eine sehr schöne Reihe an Schwarzweiß-Photographien zum Thema der Lichtreflektion befand sich genau in einem Raum mit einem schönen Außenlicht, welches somit selber noch einen eigenen Beitrag zu den Arbeiten lieferte. Auch wurde hier die Grazie der Arbeit noch um einiges hervorgehoben durch die Wahl von simplen, aber extrem eleganten und dabei doch nur ein wenig schräg vor den Photos stehenden Glasscheiben. Geschickt und durch ganz offensichtliches Überlegen, Diskutieren und anschließendes Finden von Lösungen ist auch in Raumsituationen vorgegangen worden, welche sich zunächst nicht besonders einfach präsentiert haben mögen, auch auf die Dimensionen bestimmter Arbeiten bezogen. Denn wenn mir zunächst der Raum mit der großen kubischen Schalldichtkammer auch ein wenig zu vollgefüllt erschienen ist, verstand ich doch auch bald, dass es für diese Arbeit nicht viele andere Raummöglichkeiten gegeben hätte, und dass sie nun aber auch gleichzeitig eine gewisse Abtrennungssituation für andere Kunstwerke hatte schaffen können. Am Ende lässt sich sagen, das Zusammenspiel hat doch auch hier gut funktioniert. Ein Raum schien mir besonders spektakulär gelungen zu sein. Dabei war dies nur einem einfachen Kombinieren zwischen der stark grünlich-rosafarbenen und noch immer vorhandenen Wandtönung mit einer großen Malerei im direkten Dialog zu verdanken. Gleichwohl hinterließ dieses Zimmer doch den starken Eindruck eines perfekten Miteinanders. Vermutlich handelte es sich nur ganz einfach um einen dieser schönen Zufälle, welche aber auch gesehen und tatkräftig realisiert werden müssen. Viele weitere Arbeiten und Zusammenstellungen hätten es zweifellos verdient, dass ich noch ein wenig vertiefter auf sie eingegangen wäre, aber dies würde den Rahmen meines kleinen Essays ganz einfach gesprengt haben. Und so habe ich mich hier nun recht bewusst mit nur wenigen Andeutungen zufriedengegeben.
Ich hatte es gewusst, dass die Studenten in verschiedenen Arbeitsgruppen aktiv gewesen und es auch noch waren, als ich nach Halle kam. Ein jeder hatte, neben seiner ersten Rolle als Künstler, welcher auch sein eigenes Kunstwerk bzw. seine eigene Installation ausstellte, auch noch eine weitere Rolle innerhalb des Gesamtgeschehens zur Erarbeitung der Ausstellung. Da gab es also eine Gruppe der “Kuratoren”, eine weitere der “Ausstellungsarchitekten” und, wenn ich nicht noch eine weitere Gruppe vergessen haben sollte, dann die dritte Gruppe der “Presseleute und Kommunikationsexperten”. Also, alles relativ wichtige Rollen in einer professionellen Ausstellung und ganz besonders einer etwas komplizierteren Gruppenausstellung. Eine wunderbare Übung, und es hatte ganz den Anschein, als sei auch alles aufs Perfekteste im Griff und gelungen. Nun, ich denke, es ist nicht für jeden Ausstellungsbesucher wichtig, die ganze Hintergrundsarbeit innerhalb einer Ausstellung zu erkennen, von ihr zu wissen. Im Allgemeinen müssen die Dinge funktionieren, und dies ist spürbar. Natürlich ist es umso besser, wenn man sich voll und ganz auf die Kunst in ihrer Darbietung innerhalb des perfekten Raumes und im stimmigen Zusammenhang konzentrieren kann, sich mit den Inhalten der Kunst beschäftigen oder sich einfach dem genussvollen bzw. auch sonst irgendwie sinnlich erfahrbaren Erleben hingeben kann. Aber ich denke, es kann jeden Ausstellungsbesucher – auch den fachfremden, an den ja heutzutage auch immer mehr Ansprüche in punkto Konzentration sowie Vor- und Nachbereitung gestellt werden – durchaus auch interessieren, ein wenig hinter die Kulissen zu schauen. Und wenn es gar nicht stimmt in einer Ausstellung, wenn ganz offensichtlich die leitende, die ordnende und die Fäden in der Hand haltende Figur des Kurators oder auch das Vorhandensein all des erklärenden und dadurch oftmals mehr als hilfreichen Materials vollkommen abwesend sind oder waren, dann wäre auch das “Warum” für einen anspruchsvollen Ausstellungs-Besucher nicht so ganz uninteressant. Auf jeden Fall denke ich, wer in einer solchen Ausstellung ein wenig mehr gelernt hat, Zusammenhänge zu verstehen, neue Bezüge zu “sehen” und zu erleben, der kann auch nach seinem Besuch gar nicht umhin, beinahe überall noch sonst auf seinem weiteren Wege bestimmte Zusammenhänge zu entdecken. Das “Sehen”, das ist es wohl auch, wieder und wieder, was uns die Kunst zu vermitteln vermag, das “Wandern und Wundern” in dieser Welt ganz allgemein.
Agnes Kohlmeyer
Venedig, Ende Oktober 2014
Aufzeichnungen und Gedanken eines Wunder-Wanderers auf den Spuren weiterer verborgener Orte
Im vergangenen Sommer hatte ich Gelegenheit, in meinem Wohnort Venedig die deutsche Künstlerin Stella Geppert kennenzulernen, denn sie hatte einige Monate lang ein Arbeits-Stipendium an der dortigen Deutschen Studienstiftung inne.
Natürlich sprachen wir zunächst in erster Linie über ihre eigene künstlerische Arbeit und ihr venezianisches “Lauf-“Projekt. Aber dann fanden wir sehr schnell auch einen großen Konsens innerhalb unserer beider Lehrtätigkeit - sie als Künstler-Lehrende in Halle, Burg Giebichenstein und ich selber als Kuratorin, Kunsthistorikerin und -kritikerin an Venedigs Fakultät für Design und Künste der Architektur-Universität IUAV. Sehr schnell gefiel uns auch die Idee, früher oder später einmal unsere Studenten – auf beiden Seiten überwiegend junge Künstler und dementsprechend auch im Rahmen unserer Lehrtätigkeiten in mehr oder weniger komplexen praktischen Projekten zur Realisierung künstlerischer Arbeiten und deren Präsentationen eingebunden – in Form eines Workshops zusammenzubringen und vielleicht sogar einmal gemeinsam arbeiten zu lassen. Dieses Vorhaben hat sich allerdings bis heute leider noch nicht in die Tat umsetzen lassen. Dafür konnte ich aber im vergangenen Frühjahr, genauer gesagt Ende April schon einmal als “Gastkritiker” an die Kunsthochschule Burg Giebichenstein nach Halle eingeladen werden. Während die Einzelprojekte meiner eigenen Studenten innerhalb des venezianischen Stadtraumes, im Hinterland und auf den Inseln noch im Entstehen begriffen waren, konnte sich mir in Halle doch bereits eine vollständige Ausstellung präsentieren. Der Studiengang an der dortigen Schule ist offensichtlich etwas anders strukturiert als der unsrige, und eine Studentengruppe hat über einen viel längeren Zeitraum hindurch die gleiche lehrende Bezugsperson. Da lassen sich natürlich auch weit komplexere Ausstellungs- und andere Projekte durchführen und sämtliche vorbereitenden Arbeitsphasen um ein eigentliches Ausstellungsgeschehen herum noch um einiges profunder exerzieren, sowie im Anschluss dann noch einmal intensiver analysieren und aufbereiten. Etwa durch die Herstellung einer dokumentierenden Publikation – wie sie nun vorliegt. Also, ein ganzes komplexes Ausstellungsgeschehen – zum Teil in seinem Prozess begriffen, aber als eine zu besichtigende Ausstellung mit unterschiedlichem Dokumentationsmaterial, mit Führungen und sonstiger Besucherbegleitung auch bereits vervollständigt – das ist es, was ich in Halle in eigener Person erleben konnte. Zur Ausstellungseröffnung, ein paar Tage vor meinem Besuch hatte bereits eine interessant gestaltete Einführung mit verteilten Rollen aus den Fenstern heraus gesprochen stattgefunden – so ist es mir berichtet worden –, und Führungen und Besucherbegleitung waren durch den ganzen Ausstellungszeitraum hindurch geplant.
Nun, bei dem gemeinsam gesuchten und gefundenen Ausstellungsraum handelte es sich um ein altes und offensichtlich bereits seit einer gewissen Zeit leerstehendes Haus mitten im Zentrum der Stadt und in unmittelbarer Nähe zur beeindruckenden Marktkirche “Unserer Lieben Frauen”. Ein Haus wie alle alten Häuser mit seiner ganz besonderen Geschichte, und dieses hier sogar mit der zusätzlichen Besucherattraktion des ältesten Salzbrunnens der Stadt im Keller, welchen man erst wenige Jahre zuvor dort wiederentdeckt hatte. Auf jeden Fall aber ein Haus mit seinen Spuren aus dem Leben vergangener Zeiten und früherer Bewohner. Spuren, welche sich auch noch recht hartnäckig und irgendwie auch selbstbewusst behaupteten – etwa durch den Geruch des alten Hauses, durch seine Geräusche, durch das beharrliche Vorhandensein von durchaus ungewöhnlichen bis kitschigen Blümchentapeten sowie alten und verlebten Fußböden, von Küchenkacheln und Einbauschränken, welche niemand vorerst für nötig gehalten hatte zu entfernen. Ganz im Gegenteil, all diese Details wurden nun selber zu faszinierenden Stimulanzen für die jungen Künstler, welche einen spannenden Dialog zwischen bereits Vorhandenem und eigenen neuen Arbeiten ins Leben zu rufen beabsichtigten. Es schien eine sehr bewusste Entscheidung, dieses bereits so sehr konnotierte Ambiente so wie es war anzunehmen, es mitnichten in einen neutralen “White Cube”-Ausstellungsraum umzuwandeln (was mit ein wenig weißer Farbe wohl ebenfalls machbar gewesen wäre), sondern eben diese Vergangenheit teilweise nun wieder zum Ausgangspunkt für zum großen Teil vor Ort inspiriertes Arbeiten zu nehmen. Die einzelnen Kunstwerke und Installationen wie die auch in vielen Fällen ganzen Rauminstallationen – auch aus verschiedenen Arbeiten von unterschiedlichen Autoren bestehend –, welche ich nun auf meinen mehrmaligen Besichtigungstouren durch das Haus entdecken konnte, waren von sehr unterschiedlicher Art, Beschaffenheit und auch – und es kann gar nicht anders sein – von unterschiedlicher Qualität und künstlerischer Reife. Da gab es Räume, welche keinerlei Erklärung bedurften, welche auf Anhieb verzauberten, durch Farben, Materialien, Stimmigkeiten, sowohl unter den unterschiedlichen Arbeiten, wie auch im Dialog mit den umliegenden Gegebenheiten – dem Raum, seinen Dimensionen und seinen Lichtverhältnissen, seinen Geräuschen, Gerüchen und seiner Vergangenheit, und welchem nun ein neues, ein anderes, ein ganz und gar zeitgenössisches Leben eingehaucht worden war. Alte Räume, in welche nun die Kunst eingezogen war. Aber auch die Treppen, die Durchgänge – unterstützt durch architektonische Hilfen und Raumteiler –, sowie sogenannte “Unräume”, im Alltag manchmal nur schwer zu nutzende Volumen, Korridor-Enden und unglücklich gelegene Abstellkammern werden hier nun ebenfalls zu Möglichkeiten, in sie die Kunst einzubauen und ihnen somit eine neue Berechtigung zu geben. Wie überall, wo Künstler mit den unterschiedlichsten Anliegen, Interessen und auch Fähigkeiten aufeinanderstoßen und miteinander arbeiten, war die Ausstellung eine sehr gemischte, auch an Typologie der Arbeiten und ihrer Präsentationen, was natürlich auch den Reiz ausmacht bei einer solch komplexen Entdeckungstour durch ein ganzes Haus hindurch, vom Keller bis zum Dachboden, in alle Ecken und Winkel und sogar bis zu den Fenstern hinaus. Das meiste, das muss man wirklich zugestehen, harmonierte auf sehr effektvolle und – man konnte dies sehr wohl spüren – auch wirklich “erarbeitete” Art und Weise. Vieles bezog sich auch inhaltlich auf bestimmte Raumsituationen. Beispielsweise gab es wohl nicht von ungefähr genau im Treppenhaus, sowohl unten wie ganz oben, zwei Videoarbeiten, die sich mit dem Thema “Laufen” beschäftigten, und welche auf diese Art und Weise ja auch wieder untereinander korrespondieren konnten. Es gab ruhigere, etwas abgeschiedene Räume mit Sitzgelegenheiten für das ganz intime In-sich-Gehen, während man sich in ein Video, eine Soundinstallation oder eine Art künstlich geschaffene neue Raumlösung vertiefte. Oder auch kleinere Räume, in welchen man kleinere intimere Skulpturen oder auch andere Arbeiten betrachten konnte, am besten noch, wenn es gelang, ganz allein mit der Kunst zu bleiben. Eine sehr schöne Reihe an Schwarzweiß-Photographien zum Thema der Lichtreflektion befand sich genau in einem Raum mit einem schönen Außenlicht, welches somit selber noch einen eigenen Beitrag zu den Arbeiten lieferte. Auch wurde hier die Grazie der Arbeit noch um einiges hervorgehoben durch die Wahl von simplen, aber extrem eleganten und dabei doch nur ein wenig schräg vor den Photos stehenden Glasscheiben. Geschickt und durch ganz offensichtliches Überlegen, Diskutieren und anschließendes Finden von Lösungen ist auch in Raumsituationen vorgegangen worden, welche sich zunächst nicht besonders einfach präsentiert haben mögen, auch auf die Dimensionen bestimmter Arbeiten bezogen. Denn wenn mir zunächst der Raum mit der großen kubischen Schalldichtkammer auch ein wenig zu vollgefüllt erschienen ist, verstand ich doch auch bald, dass es für diese Arbeit nicht viele andere Raummöglichkeiten gegeben hätte, und dass sie nun aber auch gleichzeitig eine gewisse Abtrennungssituation für andere Kunstwerke hatte schaffen können. Am Ende lässt sich sagen, das Zusammenspiel hat doch auch hier gut funktioniert. Ein Raum schien mir besonders spektakulär gelungen zu sein. Dabei war dies nur einem einfachen Kombinieren zwischen der stark grünlich-rosafarbenen und noch immer vorhandenen Wandtönung mit einer großen Malerei im direkten Dialog zu verdanken. Gleichwohl hinterließ dieses Zimmer doch den starken Eindruck eines perfekten Miteinanders. Vermutlich handelte es sich nur ganz einfach um einen dieser schönen Zufälle, welche aber auch gesehen und tatkräftig realisiert werden müssen. Viele weitere Arbeiten und Zusammenstellungen hätten es zweifellos verdient, dass ich noch ein wenig vertiefter auf sie eingegangen wäre, aber dies würde den Rahmen meines kleinen Essays ganz einfach gesprengt haben. Und so habe ich mich hier nun recht bewusst mit nur wenigen Andeutungen zufriedengegeben.
Ich hatte es gewusst, dass die Studenten in verschiedenen Arbeitsgruppen aktiv gewesen und es auch noch waren, als ich nach Halle kam. Ein jeder hatte, neben seiner ersten Rolle als Künstler, welcher auch sein eigenes Kunstwerk bzw. seine eigene Installation ausstellte, auch noch eine weitere Rolle innerhalb des Gesamtgeschehens zur Erarbeitung der Ausstellung. Da gab es also eine Gruppe der “Kuratoren”, eine weitere der “Ausstellungsarchitekten” und, wenn ich nicht noch eine weitere Gruppe vergessen haben sollte, dann die dritte Gruppe der “Presseleute und Kommunikationsexperten”. Also, alles relativ wichtige Rollen in einer professionellen Ausstellung und ganz besonders einer etwas komplizierteren Gruppenausstellung. Eine wunderbare Übung, und es hatte ganz den Anschein, als sei auch alles aufs Perfekteste im Griff und gelungen. Nun, ich denke, es ist nicht für jeden Ausstellungsbesucher wichtig, die ganze Hintergrundsarbeit innerhalb einer Ausstellung zu erkennen, von ihr zu wissen. Im Allgemeinen müssen die Dinge funktionieren, und dies ist spürbar. Natürlich ist es umso besser, wenn man sich voll und ganz auf die Kunst in ihrer Darbietung innerhalb des perfekten Raumes und im stimmigen Zusammenhang konzentrieren kann, sich mit den Inhalten der Kunst beschäftigen oder sich einfach dem genussvollen bzw. auch sonst irgendwie sinnlich erfahrbaren Erleben hingeben kann. Aber ich denke, es kann jeden Ausstellungsbesucher – auch den fachfremden, an den ja heutzutage auch immer mehr Ansprüche in punkto Konzentration sowie Vor- und Nachbereitung gestellt werden – durchaus auch interessieren, ein wenig hinter die Kulissen zu schauen. Und wenn es gar nicht stimmt in einer Ausstellung, wenn ganz offensichtlich die leitende, die ordnende und die Fäden in der Hand haltende Figur des Kurators oder auch das Vorhandensein all des erklärenden und dadurch oftmals mehr als hilfreichen Materials vollkommen abwesend sind oder waren, dann wäre auch das “Warum” für einen anspruchsvollen Ausstellungs-Besucher nicht so ganz uninteressant. Auf jeden Fall denke ich, wer in einer solchen Ausstellung ein wenig mehr gelernt hat, Zusammenhänge zu verstehen, neue Bezüge zu “sehen” und zu erleben, der kann auch nach seinem Besuch gar nicht umhin, beinahe überall noch sonst auf seinem weiteren Wege bestimmte Zusammenhänge zu entdecken. Das “Sehen”, das ist es wohl auch, wieder und wieder, was uns die Kunst zu vermitteln vermag, das “Wandern und Wundern” in dieser Welt ganz allgemein.
Agnes Kohlmeyer
Venedig, Ende Oktober 2014
Veranstaltungsprogramm zu „per faltung ins gebiet“
Veranstaltungsprogramm zu „per faltung ins gebiet“
der Ausstellung der Klasse Prof. Stella Geppert
der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle /
Studiengang Kunsterziehung und Kunstpädagogik
vom 25.04.2014 bis 10.05.2014
Eröffnung am 24.04.2014 um 18:00 Uhr
in der Oleariusstrasse 09, 06108 Halle an der Saale
Finissage am 10.05.2014 um 18.00 Uhr
Öffnungszeiten täglich von 11:00 Uhr – 19:00 Uhr (außer Montag)
Donnerstag, 24.04.2014
19:00 Uhr Vernissage
Freitag, 25.04.2014
11:00 – 13:00 Uhr Streifzüge: zusammen-gefaltet / Carola Sachs
20.00 – 22.00 Uhr Screening „per faltung vis à vis“
Samstag, 26.04.2014
12:00 - 18.00 Uhr There would be. Präsentationen künstlerischer Projektideen hallenser Passanten ohne Buntpapier und Pinnwand / Karla König
Sonntag, 27.04.201
10:30 – 12:00 Uhr Streifzüge: zwischen den Füßen und über den Kopf / Alexandra Stein
Mittwoch 30.04.2014
18.00 Uhr „Wandering – Wondering“ / Vortrag von Agnes Kohlmeyer zu verborgenen Orten am Beispiel von künstlerischen Projekten mit Studierenden der UAV, Venedig
Freitag 02.05.2014
11:00 – 13:00 Uhr Streifzüge: das Blaue vom Himmel / Sarah Kaiser
20.00 – 22.00 Uhr Screening: „per faltung vis à vis“
Samstag 03.05.2014
11:00 – 13:00 Uhr Streifzüge: zusammen-gefaltet / Carola Sachs
12:00 - 18.00 Uhr There would be. Präsentationen künstlerischer Projektideen hallenser Passanten ohne Buntpapier und Pinnwand / Karla König
Sonntag 04.05.2014
10:15 Uhr Streifzüge: Glockenschritte. Gemeinsames Gehen auf dem Marktplatz / Yommana Kübler
Dienstag 06.05.2014
10:30 – 12:00 Uhr Streifzüge: zwischen den Füßen und über den Kopf / Alexandra Stein
Mittwoch 07.05.2014
14:50 Uhr Streifzüge: Glockenschritte. Gemeinsames Gehen auf dem Marktplatz / Yommana Kübler
16.00 Uhr „Atmosphäre“ Vortrag von Rainer Schönhammer zu körperlichen Bewegungen und deren Orientierungen im Raum, Halle
Donnerstag 08.05.2014
Freitag 09.05.2014
11:00 – 13:00 Uhr Streifzüge: das Blaue vom Himmel / Sarah Kaiser
20.00 – 22.00 Uhr Screening: „per faltung vis à vis“
Samstag 10.05.2014
Finissage / Party ab 20:00 Uhr
der Ausstellung der Klasse Prof. Stella Geppert
der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle /
Studiengang Kunsterziehung und Kunstpädagogik
vom 25.04.2014 bis 10.05.2014
Eröffnung am 24.04.2014 um 18:00 Uhr
in der Oleariusstrasse 09, 06108 Halle an der Saale
Finissage am 10.05.2014 um 18.00 Uhr
Öffnungszeiten täglich von 11:00 Uhr – 19:00 Uhr (außer Montag)
Freitag, 25.04.2014
11:00 – 13:00 Uhr Streifzüge: zusammen-gefaltet / Carola Sachs
20.00 – 22.00 Uhr Screening „per faltung vis à vis“
Samstag, 26.04.2014
12:00 - 18.00 Uhr There would be. Präsentationen künstlerischer Projektideen hallenser Passanten ohne Buntpapier und Pinnwand / Karla König
Sonntag, 27.04.201
10:30 – 12:00 Uhr Streifzüge: zwischen den Füßen und über den Kopf / Alexandra Stein
Mittwoch 30.04.2014
18.00 Uhr „Wandering – Wondering“ / Vortrag von Agnes Kohlmeyer zu verborgenen Orten am Beispiel von künstlerischen Projekten mit Studierenden der UAV, Venedig
Freitag 02.05.2014
11:00 – 13:00 Uhr Streifzüge: das Blaue vom Himmel / Sarah Kaiser
20.00 – 22.00 Uhr Screening: „per faltung vis à vis“
Samstag 03.05.2014
11:00 – 13:00 Uhr Streifzüge: zusammen-gefaltet / Carola Sachs
12:00 - 18.00 Uhr There would be. Präsentationen künstlerischer Projektideen hallenser Passanten ohne Buntpapier und Pinnwand / Karla König
Sonntag 04.05.2014
10:15 Uhr Streifzüge: Glockenschritte. Gemeinsames Gehen auf dem Marktplatz / Yommana Kübler
Dienstag 06.05.2014
10:30 – 12:00 Uhr Streifzüge: zwischen den Füßen und über den Kopf / Alexandra Stein
Mittwoch 07.05.2014
14:50 Uhr Streifzüge: Glockenschritte. Gemeinsames Gehen auf dem Marktplatz / Yommana Kübler
16.00 Uhr „Atmosphäre“ Vortrag von Rainer Schönhammer zu körperlichen Bewegungen und deren Orientierungen im Raum, Halle
Donnerstag 08.05.2014
Freitag 09.05.2014
11:00 – 13:00 Uhr Streifzüge: das Blaue vom Himmel / Sarah Kaiser
20.00 – 22.00 Uhr Screening: „per faltung vis à vis“
Samstag 10.05.2014
Finissage / Party ab 20:00 Uhr
Rundgang
Abbiegen in das Links von gestern
Anlässlich des Jubiläumsjahres von Halle-Neustadt rahmten die Themen ‚Gehen‘ und ‚Imagination‘ die Lehrveranstaltung „Körper- und Raumkonzepte“, im Sommersemester 2014. ‚Gehen’ und ‚Imaginieren sind zuerst einmal zwei gegensätzliche Tätigkeiten. Sie werden jeweils mit unterschiedlichen Raumatmosphären gedanklich verknüpft. Beide Tätigkeiten sind äußerst aktiv und setzen unterschiedliche Gestaltungsprozesse frei. (weitere Informationen siehe unterer ‚Textbeitrag’)
Textbeitrag
Abbiegen in das Links von gestern [1] / Stella Geppert
Anlässlich des Jubiläumsjahres von Halle-Neustadt rahmten die Themen Gehen und Imagination die Lehrveranstaltung „Körper- und Raumkonzepte“[2], die ich im Sommersemester 2014 mit einem Teil von Studierenden meiner Klasse durchführte. Gehen und Imaginieren sind vorerst einmal zwei gegensätzliche Tätigkeiten. Sie werden jeweils mit unterschiedlichen Raumatmosphären gedanklich verknüpft. Wenn wir uns selbst gehend vorstellen, denken wir räumlich anders als während des Imaginierens. Beide Tätigkeiten sind äußerst aktiv und setzen unterschiedliche Gestaltungsprozesse frei.
Gehen ist gerichtet. Da, wo unsere Beine sind, sind wir auch in der Regel vor Ort und durchdringen den konkreten Raum haftend mit den Füssen auf dem Boden. Parks, Einkaufzentren, Arkaden, Boulevards, Umgebungstrassen und Strandpromenaden sind Stätten unterschiedlicher Gangarten. Feine Beobachtungen und kinetische Empfindungsgaben zeigen uns die Verbindung von Beingesten und den gebauten urbanen Landschaften auf. Körperhaltungen werden durch architektonische Setzungen motiviert. Gehbewegungen, ob allein oder in der Menge, geben und gaben eine Anleitung zur aktiven Mitgestaltung von Urbanität. Vom Flaneur bis zum Situationisten sind Gangformen Lesarten von und Impulsgeber für Veränderungen und Gestaltung von Urbanen und sozialen Räumen.
Imaginieren ist meist eine stille Handlung. Sie kann zeit- und richtungslos und ortsungebunden sein. Die Imagination folgt, wenn sie frei ist, weder einer logischen noch einer klaren räumlichen Orientierung.
Sie ermöglicht es uns, Gesellschaften und Lebensformen in ungewöhnlicher Qualität vor unserem inneren Auge auszumalen. Sie ist der Realität sehr fern und nah zu gleich. Beim Imaginieren werden Bilder gedanklich gefasst und können von ihren Kontexten gelöst verarbeitet werden.
Die Lehrveranstaltung führte ich in kurzen Einführungsworkshops zusammen mit Martin Nachbar (Tänzer und Choreograph) und Alfonso Rituerto (Zauberer) ein. Nachbar sensibilisierte die Studierenden durch Aufmerksamkeitsstudien für alltägliche Gangarten und deren Gestik im Raum. „Nach Elizabeth Grosz ist die erste Geste der Kunst eine architektonische: Durch die Errichtung eines (Fuß)Bodens werden z. B. bestimmte Eigenschaften der Erde wie Schwerkraft und Abstoßung hervorgehoben, die u. a. zum Auftauchen des Tanzes führen.“[3]
Alfonso Rituerto ließ unmögliche Welten in der Realität entstehen, um durch Aufdecken und Verhüllen die Kraft der magischen Atmosphäre entfalten zu können. Rituerto schreibt: „Die Magie liegt in einem Ort, in dem die Abwesenheit von Grenzen regiert. Sie stellt sich als unendlich dar. Die Unendlichkeit der Magie ist aber keine räumliche Unendlichkeit: Sie ist die Unendlichkeit als die Verweigerung des Begrenzten.“[4]
Yommana Klüber führte eine lyrische Ortsbegehung in Betontauben durch, in dem sie rückwärts über das von allen Seiten einsehbare Parkdeck im Zentrum von Halle-Neustadt schritt. Ihr gesprochener Text beschreibt eine Phantasievorstellung vom Parkdeck als Ort der ursprünglichen Natur. Die Beiwohnenden der Performance kamen ihr langsam entgegen, während sie dem Raum zu entschwinden schien. Ihre Ansprache hallte bis in die oberen Stockwerke der umliegenden Hochhäuser. Innerhalb des Parkhauses marschierte auch Sara Marienfeld während ihrer Aktion und stoppte kurz an den jeweiligen Parkplatzkojen. Dort sprach sie befehlstonartig die jeweilige Parkplatznummer aus. Als wolle sie das verschwundene „Autoregiment“ wachrufen, schallten die Zahlen in den auto- und menschenleeren Raum zurück. Die präzise Kameraeinstellung Parkhaus 104-747 zeigt ihre Person in den immer gleichen Etagen kleiner und größer werden. In Hoffnungsträger projizieren Marie Neumann und Laura Stach auf die Fassade der mittleren Hochhausscheibe im werbeüblichen Großleinwandformat einen 30-minütigen Film über den Bau eines Kartenhauses, das immer wieder einzubrechen droht und als Sisyphusarbeit erscheint. Innerhalb der Projektion entsprechen sich die Spielkarten und die Plattengröße proportional und stellen auf eine humorvolle Weise die Analogie zu Aufbau und Zerfall her. In der Arbeit Trampelpfade – Auf den Spuren Halle-Neustadts bestreute Kristina Kramer die von ihr entdeckten Schleichwege mit fremdartig wirkendem Pulver. Die intuitive „Gestaltung“ beschreibt sie wie folgt: „Das Geheimnisvolle der Trampelpfade liegt unter anderem darin, dass voneinander unabhängige BewohnerInnen zunächst individuelle, nicht vorgesehene Abkürzungen nehmen und so mit der Zeit durch kollektives Nachahmen Trampelpfade entstehen. Dem Zauberhaften liegt zugleich etwas Anonymes wie auch Vertrautes und Verbindendes zugrunde. Das farbige Pulver auf den Wegen macht eine einzelne Begehung sichtbar und erinnert daran, dass jeder Mensch eine Spur hinterlässt, die zunächst unsichtbar bleibt und nur mit der Zeit und der Vielzahl an Begehungen auf scheinbar magische Weise einen Trampelpfad entstehen lässt.“ Lea Bruns folgt einer Hausfassade und testet die Möglichkeit, diese körperlich zu begreifen. In Fassadenlauf oder 385 Meter unternimmt sie den Versuch, das längste Wohnhaus der DDR (‚Block 10‘) zu umfassen. Man sieht, wie sie ihren Körper an das für 2.500 Bewohner angelegte Gebäude anschmiegt. Konzeptionell als eine Umarmung angelegt, wird jedoch eine reptilienartige, körperuntypische Bewegungsformation sichtbar. Der Abrieb des Körpers ist an der überdimensionalen Masse hörbar. Das dabei erzeugte Geräusch steht im Kontrast zur privaten Geräuschkulisse der Wohnanlage. Die Arbeit von Matthias Schützelt bezieht sich auch auf eine geschlossen angelegte Wohneinheit. Er implantiert eine in ihre Einzelteile zerstückelte Textpassage aus dem Buch Der geteilte Himmel von Christa Wolf in die inzwischen verwaisten Klingelschilder des vom Leerstand geprägten ehemaligen Block 167, Aufgang 2. Die Namen der Bewohner können als Teil dieser Prosa oder aber als Namen neu Hinzugezogener gelesen werden. Die zugleich poetische und minimalistische Arbeit eröffnet einen neuen Horizont des Möglichen zur Überwindung von Gegenwärtigem. Mit einem anderen Verschlüsselungsprinzip agiert Sara Marienfeld entlang der Fußgängerpassage. In Geheimnisse setzt sie eigene Botschaften mittels einer von ihr erfundenen Geheimschrift den Blicken der Passanten aus. Die Schriftblöcke wirken wie ein Manifest oder ein Bekenntnis. Von allen Seiten einsehbar bleibt der Code jedoch verborgen und trotzt dem für Observation prädestinierten Stadtraum. Eine weitere künstlerische Arbeit von Thomas Kirchner, Unten und Oben, reiht sich im Sinne einer Aufmerksamkeitsstudie in den Lebensalltag ein. Um den Anschein von Rechtmäßigkeit des Eindringens in ein fremdes Gebäude zu erzeugen, werden geladene Gäste des Spazierganges zwischen „unten auf der Straße“ und „oben auf dem Dach“ mit leuchtenden Warnwesten ausgestattet. Barrierefreies Gleiten zwischen privaten und öffentlichen Boden- und Luftraum relativiert die Dimension der Planstadt. Das konkrete Agieren im Raum und die Vorstellung von Raum wechselten sich in der künstlerischen Auseinandersetzung ab. Das Spezifische von Halle-Neustadt wird an den Grenzen des Sichtbaren erlebbar gemacht. Über das Wechselspiel der „Vorstellung von“ und dem direkten „Vollzug in“ wird versucht, die Besonderheit der Stadt wie eine atmosphärisch aufgeladene Bestandsaufnahme zu fassen, so dass die Vorstellung von Halle-Neustadt eine Krümmung erfährt und das Morgen schon früher längs war.
Dieser Text ist erschienen in: „Wie wollen wir leben. 50 Jahre Halle-Neustadt“, Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle, 2014
[1] Der Titel zu dem Text ist im Rahmen der Klassenausstellung „per faltung ins gebiet“ von Studierenden der Klasse erfunden. [2] „Körper- und Raumkonzepte“ bildet einen Bereich der künstlerischen Praxis, den ich in den kunstpädagogischen Studiengängen der Burg Giebichenstein entwickelte und unterrichte. Er führt die Studierenden an architektonische, soziale und kommunikative Felder des öffentlichen Raumes heran und erprobt künstlerisches Arbeiten durch performatives Handeln. [3] Aus dem Konzept von Martin Nachbar, Email vom 6.9.2014 [4] Aus dem Logbuch von Alfonso Rituerto vom 15.9.2014
Anlässlich des Jubiläumsjahres von Halle-Neustadt rahmten die Themen Gehen und Imagination die Lehrveranstaltung „Körper- und Raumkonzepte“[2], die ich im Sommersemester 2014 mit einem Teil von Studierenden meiner Klasse durchführte. Gehen und Imaginieren sind vorerst einmal zwei gegensätzliche Tätigkeiten. Sie werden jeweils mit unterschiedlichen Raumatmosphären gedanklich verknüpft. Wenn wir uns selbst gehend vorstellen, denken wir räumlich anders als während des Imaginierens. Beide Tätigkeiten sind äußerst aktiv und setzen unterschiedliche Gestaltungsprozesse frei.
Gehen ist gerichtet. Da, wo unsere Beine sind, sind wir auch in der Regel vor Ort und durchdringen den konkreten Raum haftend mit den Füssen auf dem Boden. Parks, Einkaufzentren, Arkaden, Boulevards, Umgebungstrassen und Strandpromenaden sind Stätten unterschiedlicher Gangarten. Feine Beobachtungen und kinetische Empfindungsgaben zeigen uns die Verbindung von Beingesten und den gebauten urbanen Landschaften auf. Körperhaltungen werden durch architektonische Setzungen motiviert. Gehbewegungen, ob allein oder in der Menge, geben und gaben eine Anleitung zur aktiven Mitgestaltung von Urbanität. Vom Flaneur bis zum Situationisten sind Gangformen Lesarten von und Impulsgeber für Veränderungen und Gestaltung von Urbanen und sozialen Räumen.
Imaginieren ist meist eine stille Handlung. Sie kann zeit- und richtungslos und ortsungebunden sein. Die Imagination folgt, wenn sie frei ist, weder einer logischen noch einer klaren räumlichen Orientierung.
Sie ermöglicht es uns, Gesellschaften und Lebensformen in ungewöhnlicher Qualität vor unserem inneren Auge auszumalen. Sie ist der Realität sehr fern und nah zu gleich. Beim Imaginieren werden Bilder gedanklich gefasst und können von ihren Kontexten gelöst verarbeitet werden.
Die Lehrveranstaltung führte ich in kurzen Einführungsworkshops zusammen mit Martin Nachbar (Tänzer und Choreograph) und Alfonso Rituerto (Zauberer) ein. Nachbar sensibilisierte die Studierenden durch Aufmerksamkeitsstudien für alltägliche Gangarten und deren Gestik im Raum. „Nach Elizabeth Grosz ist die erste Geste der Kunst eine architektonische: Durch die Errichtung eines (Fuß)Bodens werden z. B. bestimmte Eigenschaften der Erde wie Schwerkraft und Abstoßung hervorgehoben, die u. a. zum Auftauchen des Tanzes führen.“[3]
Alfonso Rituerto ließ unmögliche Welten in der Realität entstehen, um durch Aufdecken und Verhüllen die Kraft der magischen Atmosphäre entfalten zu können. Rituerto schreibt: „Die Magie liegt in einem Ort, in dem die Abwesenheit von Grenzen regiert. Sie stellt sich als unendlich dar. Die Unendlichkeit der Magie ist aber keine räumliche Unendlichkeit: Sie ist die Unendlichkeit als die Verweigerung des Begrenzten.“[4]
Yommana Klüber führte eine lyrische Ortsbegehung in Betontauben durch, in dem sie rückwärts über das von allen Seiten einsehbare Parkdeck im Zentrum von Halle-Neustadt schritt. Ihr gesprochener Text beschreibt eine Phantasievorstellung vom Parkdeck als Ort der ursprünglichen Natur. Die Beiwohnenden der Performance kamen ihr langsam entgegen, während sie dem Raum zu entschwinden schien. Ihre Ansprache hallte bis in die oberen Stockwerke der umliegenden Hochhäuser. Innerhalb des Parkhauses marschierte auch Sara Marienfeld während ihrer Aktion und stoppte kurz an den jeweiligen Parkplatzkojen. Dort sprach sie befehlstonartig die jeweilige Parkplatznummer aus. Als wolle sie das verschwundene „Autoregiment“ wachrufen, schallten die Zahlen in den auto- und menschenleeren Raum zurück. Die präzise Kameraeinstellung Parkhaus 104-747 zeigt ihre Person in den immer gleichen Etagen kleiner und größer werden. In Hoffnungsträger projizieren Marie Neumann und Laura Stach auf die Fassade der mittleren Hochhausscheibe im werbeüblichen Großleinwandformat einen 30-minütigen Film über den Bau eines Kartenhauses, das immer wieder einzubrechen droht und als Sisyphusarbeit erscheint. Innerhalb der Projektion entsprechen sich die Spielkarten und die Plattengröße proportional und stellen auf eine humorvolle Weise die Analogie zu Aufbau und Zerfall her. In der Arbeit Trampelpfade – Auf den Spuren Halle-Neustadts bestreute Kristina Kramer die von ihr entdeckten Schleichwege mit fremdartig wirkendem Pulver. Die intuitive „Gestaltung“ beschreibt sie wie folgt: „Das Geheimnisvolle der Trampelpfade liegt unter anderem darin, dass voneinander unabhängige BewohnerInnen zunächst individuelle, nicht vorgesehene Abkürzungen nehmen und so mit der Zeit durch kollektives Nachahmen Trampelpfade entstehen. Dem Zauberhaften liegt zugleich etwas Anonymes wie auch Vertrautes und Verbindendes zugrunde. Das farbige Pulver auf den Wegen macht eine einzelne Begehung sichtbar und erinnert daran, dass jeder Mensch eine Spur hinterlässt, die zunächst unsichtbar bleibt und nur mit der Zeit und der Vielzahl an Begehungen auf scheinbar magische Weise einen Trampelpfad entstehen lässt.“ Lea Bruns folgt einer Hausfassade und testet die Möglichkeit, diese körperlich zu begreifen. In Fassadenlauf oder 385 Meter unternimmt sie den Versuch, das längste Wohnhaus der DDR (‚Block 10‘) zu umfassen. Man sieht, wie sie ihren Körper an das für 2.500 Bewohner angelegte Gebäude anschmiegt. Konzeptionell als eine Umarmung angelegt, wird jedoch eine reptilienartige, körperuntypische Bewegungsformation sichtbar. Der Abrieb des Körpers ist an der überdimensionalen Masse hörbar. Das dabei erzeugte Geräusch steht im Kontrast zur privaten Geräuschkulisse der Wohnanlage. Die Arbeit von Matthias Schützelt bezieht sich auch auf eine geschlossen angelegte Wohneinheit. Er implantiert eine in ihre Einzelteile zerstückelte Textpassage aus dem Buch Der geteilte Himmel von Christa Wolf in die inzwischen verwaisten Klingelschilder des vom Leerstand geprägten ehemaligen Block 167, Aufgang 2. Die Namen der Bewohner können als Teil dieser Prosa oder aber als Namen neu Hinzugezogener gelesen werden. Die zugleich poetische und minimalistische Arbeit eröffnet einen neuen Horizont des Möglichen zur Überwindung von Gegenwärtigem. Mit einem anderen Verschlüsselungsprinzip agiert Sara Marienfeld entlang der Fußgängerpassage. In Geheimnisse setzt sie eigene Botschaften mittels einer von ihr erfundenen Geheimschrift den Blicken der Passanten aus. Die Schriftblöcke wirken wie ein Manifest oder ein Bekenntnis. Von allen Seiten einsehbar bleibt der Code jedoch verborgen und trotzt dem für Observation prädestinierten Stadtraum. Eine weitere künstlerische Arbeit von Thomas Kirchner, Unten und Oben, reiht sich im Sinne einer Aufmerksamkeitsstudie in den Lebensalltag ein. Um den Anschein von Rechtmäßigkeit des Eindringens in ein fremdes Gebäude zu erzeugen, werden geladene Gäste des Spazierganges zwischen „unten auf der Straße“ und „oben auf dem Dach“ mit leuchtenden Warnwesten ausgestattet. Barrierefreies Gleiten zwischen privaten und öffentlichen Boden- und Luftraum relativiert die Dimension der Planstadt. Das konkrete Agieren im Raum und die Vorstellung von Raum wechselten sich in der künstlerischen Auseinandersetzung ab. Das Spezifische von Halle-Neustadt wird an den Grenzen des Sichtbaren erlebbar gemacht. Über das Wechselspiel der „Vorstellung von“ und dem direkten „Vollzug in“ wird versucht, die Besonderheit der Stadt wie eine atmosphärisch aufgeladene Bestandsaufnahme zu fassen, so dass die Vorstellung von Halle-Neustadt eine Krümmung erfährt und das Morgen schon früher längs war.
Dieser Text ist erschienen in: „Wie wollen wir leben. 50 Jahre Halle-Neustadt“, Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle, 2014
[1] Der Titel zu dem Text ist im Rahmen der Klassenausstellung „per faltung ins gebiet“ von Studierenden der Klasse erfunden. [2] „Körper- und Raumkonzepte“ bildet einen Bereich der künstlerischen Praxis, den ich in den kunstpädagogischen Studiengängen der Burg Giebichenstein entwickelte und unterrichte. Er führt die Studierenden an architektonische, soziale und kommunikative Felder des öffentlichen Raumes heran und erprobt künstlerisches Arbeiten durch performatives Handeln. [3] Aus dem Konzept von Martin Nachbar, Email vom 6.9.2014 [4] Aus dem Logbuch von Alfonso Rituerto vom 15.9.2014
Anne Nemack - Farbe
Bei einer Ortsbegehung wirkte die Tristesse der Betonbauten und der große Leerstand sehr eindringlich auf mich. Es schien, als würde das Leben diesen Ort allmählich verlassen. Ich dachte an einen Versuch der Wiederbelebung durch Farbe, so wie sie mich persönlich erhellt.
Ich betrachte mein Werk, es wirkt verloren, geht unter in einer Masse aus Beton; grau nimmt überhand. Und vielleicht erzeugt es doch ein kleinen Moment der Freude, wenn man es entdeckt?! Mit meiner Aktion stoße ich auch auf Widerstand, der mich berechtigterweise mit der Frage konfrontiert, wie subjektiv mein Empfinden ist. Gleichzeitig lässt sich die Assoziation mit einer Aussage aus der NS-Zeit kaum vermeiden. Damit wird meine Aussage zum Dogma, das dazu anregt die Antwort auf die Frage 'Rettet Farbe vor der Tristesse?' individuell zu erörtern.
Ich betrachte mein Werk, es wirkt verloren, geht unter in einer Masse aus Beton; grau nimmt überhand. Und vielleicht erzeugt es doch ein kleinen Moment der Freude, wenn man es entdeckt?! Mit meiner Aktion stoße ich auch auf Widerstand, der mich berechtigterweise mit der Frage konfrontiert, wie subjektiv mein Empfinden ist. Gleichzeitig lässt sich die Assoziation mit einer Aussage aus der NS-Zeit kaum vermeiden. Damit wird meine Aussage zum Dogma, das dazu anregt die Antwort auf die Frage 'Rettet Farbe vor der Tristesse?' individuell zu erörtern.
Kristina Kramer - Trampelpfade
Trampelpfade haben etwas Praktisches, aber auch etwas Geheimnisvolles. Als Besucher Halle-Neustadts kann man sich auf die Spuren der BewohnerInnen begeben. Es sind fremde und geheimnisvolle, aber auch vertraute Spuren. Man erschließt sich die Bewegungen der BewohnerInnen durch das Verfolgen ihrer Schleichwege. Mit dem Begehen der Trampelpfade trägt man selbst zur Verfestigung der Wege bei. Das Geheimnisvolle der Trampelpfade liegt unter anderem darin, dass voneinander unabhängige BewohnerInnen zunächst individuelle, nicht vorgesehene Abkürzungen nehmen und so mit der Zeit durch kollektives Nachahmen Trampelpfade entstehen. Dem Zauberhaften liegt zugleich etwas Anonymes, aber auch Vertrautes und Verbindendes zugrunde. Das farbige Pulver auf den Wegen macht eine einzelne Begehung sichtbar. Es bricht einerseits damit und erinnert andererseits daran, dass jeder Mensch eine Spur hinterlässt, die zunächst unsichtbar bleibt und nur mit der Zeit und der Vielzahl an Begehungen auf scheinbar magische Weise einen Trampelpfad entstehen lässt. Die Magie des Alltags wird in unausgesprochener Übereinkunft der Menschen sichtbar.
Lea Bruns - Fassadenlauf / 385 Meter
Das längste Wohnhaus der DDR, der 'Block 10' in Halle Neustadt, angelegt für 2500 BewohnerInnen, wird in seinem Ausmaß, seinem gleichförmigen Aufbau und der Beschaffenheit der Fassade durch Körperkontakt und Umrundung begriffen und realisiert.
Der Körper passt sich - entlang der 385 Meter langen Fassade - den vorgegebenen Strukturen an. Die Bewegung wird durch die Architektur gelenkt.
Von außen als eine Umarmung wahrgenommen, oder als die organische Schlängel- und Kriech-Bewegung eines Insekts, entsteht im Erleben - durch den unmöglichen Versuch in die Fassade einzutauchen - eine fast schmerzhafte Nähe. Das dadurch erzeugte Geräusch, das Reiben der Textilien und des Körpers auf den Platten und den Metallverstrebungen, mischt sich - so wie der Körper selbst - unter das alltäglichen Treibens in einer Wohnanlage.
Der Körper passt sich - entlang der 385 Meter langen Fassade - den vorgegebenen Strukturen an. Die Bewegung wird durch die Architektur gelenkt.
Von außen als eine Umarmung wahrgenommen, oder als die organische Schlängel- und Kriech-Bewegung eines Insekts, entsteht im Erleben - durch den unmöglichen Versuch in die Fassade einzutauchen - eine fast schmerzhafte Nähe. Das dadurch erzeugte Geräusch, das Reiben der Textilien und des Körpers auf den Platten und den Metallverstrebungen, mischt sich - so wie der Körper selbst - unter das alltäglichen Treibens in einer Wohnanlage.
Matthias Schützelt - 162/2
Verwaiste Klingelschilder spiegeln den Leerstand in den Wohnungen wider. Die entstandenen Lücken werden mit Prosa ergänzt.
Verlassen und Ankommen, die Schnittstelle zwischen innen und außen wird zum Ort der Arbeit.
Eine Passage aus »Der geteilte Himmel« von Christa Wolf nimmt den frei gewordenen Raum ein, für die Weggezogenen. Und ist gedacht für die, die noch geblieben sind im ehemaligen Block 167, Aufgang 2.
Verlassen und Ankommen, die Schnittstelle zwischen innen und außen wird zum Ort der Arbeit.
Eine Passage aus »Der geteilte Himmel« von Christa Wolf nimmt den frei gewordenen Raum ein, für die Weggezogenen. Und ist gedacht für die, die noch geblieben sind im ehemaligen Block 167, Aufgang 2.
Sara Marienfeld - Geheimnisse
Entlang der Fußgängerpassage in Halle Neustadt habe ich Geheimnisse in einer Geheimschrift, die immer dem gleichen Verschlüsselungsprinzip gefolgt ist, auf den Boden geschrieben.
Ich habe Orte gesucht, wo die Blicke von Passanten aus Routine hinfallen, z.B. auf Treppenstufen oder vor Geschäften. In einem weiteren Schritt habe ich ein Geheimnis auf das oberste Deck eines Parkhauses geschrieben, das von zwei Hochhäusern umgeben ist. Hier war das von oben Sehen, die Aufsicht, das Bühnenhafte wichtig.
Die vorbeigehenden Menschen haben oft mit Irritation und Neugierde reagiert. Ich wurde gefragt, was ich da schreibe und in welcher Sprache.
Ich habe Orte gesucht, wo die Blicke von Passanten aus Routine hinfallen, z.B. auf Treppenstufen oder vor Geschäften. In einem weiteren Schritt habe ich ein Geheimnis auf das oberste Deck eines Parkhauses geschrieben, das von zwei Hochhäusern umgeben ist. Hier war das von oben Sehen, die Aufsicht, das Bühnenhafte wichtig.
Die vorbeigehenden Menschen haben oft mit Irritation und Neugierde reagiert. Ich wurde gefragt, was ich da schreibe und in welcher Sprache.
Thomas Kirchner - Unten und Oben
Ich habe zu einem Spaziergang eingeladen. Ein Gang dessen Aufmerksamkeit sich zunächst „nach unten“ auf die Asphalt, Schotter- und Grünflächen der nördlichen Neustadt richtete. Jeder Teilnehmende steckte dabei eine auf dem Boden gefundene Kleinigkeit in die Hosentasche.
Im Anschluss führte ich die Gruppe durch das Innere eines der zwölfgeschossigen Wohnhäuser der Lise-Meitner-Straße direkt auf dessen Dach. Die Blicke befreiten sich nun „nach oben“ und in die Ferne. Der Bezug zu den anderen Stadtteilen, sowie die angrenzende Weitläufigkeit des Heidewaldes wurde erfahrbar, die Dimension von Neustadt greifbar. Nicht unbemerkt von den Nachbarn der umgebenden Wohnblöcke sorgte das Tragen von leuchtenden Warnwesten für den nötigen Anschein von Rechtmäßigkeit und dadurch für ein ungestörtes gemeinsames Erleben dieses Spazierganges.
Als Zeugen unseres verbotenen Besuchs hinterließen wir auf dem Dach die eben noch auf dem Boden liegenden Hinterlassenschaften der Anwohner.
Im Anschluss führte ich die Gruppe durch das Innere eines der zwölfgeschossigen Wohnhäuser der Lise-Meitner-Straße direkt auf dessen Dach. Die Blicke befreiten sich nun „nach oben“ und in die Ferne. Der Bezug zu den anderen Stadtteilen, sowie die angrenzende Weitläufigkeit des Heidewaldes wurde erfahrbar, die Dimension von Neustadt greifbar. Nicht unbemerkt von den Nachbarn der umgebenden Wohnblöcke sorgte das Tragen von leuchtenden Warnwesten für den nötigen Anschein von Rechtmäßigkeit und dadurch für ein ungestörtes gemeinsames Erleben dieses Spazierganges.
Als Zeugen unseres verbotenen Besuchs hinterließen wir auf dem Dach die eben noch auf dem Boden liegenden Hinterlassenschaften der Anwohner.
M. Neumann, L. Stach - Hoffnungsträger
Das auf die Fassade der mittleren „Scheibe“ projizierte Kartenhaus greift den Modellcharakter der Planstadt auf, in deren Atmosphäre Aufbau und Verfall deutlich spürbar sind. Dabei wird die vollständige Errichtung des Kartenhauses nie ganz erreicht, wodurch der Betrachter einer Sisyphos-Arbeit beiwohnen muss. Das Kartenhaus nimmt die architektonischen Elemente des Gebäudes auf und belebt es mit neuen „Wohnungen“ wieder. Die Projektion kann zudem von vielen gänzlich verschiedenen Standpunkten der Neustadt und von Halle aus gesehen werden.
Yommana Klüber - Betontauben
Auf dem Deck eines Parkhauses in Halle Neustadt, das von Hochhäusern vollkommen umschlossen ist, verbrachte ich einen Tag und sammelte meine Eindrücke des Ortes. Dabei entstand eine Konstruktion aus Gedanken und Assoziationen, die sich in einer Fantasievorstellung des Parkdecks als Ort der ursprünglichen Natur zuspitzte.
Bei der lyrischen Ortsbegehung ging ich rückwärts auf dem obersten Parkdeck, während die Zuhörer_innen mir als Gruppe langsam folgten.
Bei der lyrischen Ortsbegehung ging ich rückwärts auf dem obersten Parkdeck, während die Zuhörer_innen mir als Gruppe langsam folgten.